Bettina de Phalsbourgh (Pseudonym)
Geboren 1927 unter dem Namen Maria Mayer auf einem Bauernhof in der Nähe von Rosenheim als uneheliche Tochter einer Magd, verbringt sie die ersten Lebensjahre auf verschiedenen Gehöften, wo die Mutter beschäftigt ist und die Grundschuljahre auf den betreffenden Dörfern. 1936 findet die Mutter eine Anstellung als Hausgehilfin bei einem kinderlosen, älteren Offiziersehepaar in Rosenheim. Das aufgeweckte Mädchen gefällt den Herrschaften und sie sorgen dafür, daß Maria die Oberschule besuchen kann, wo sie bald im guten Mittelfeld liegt. Die Mutter erarbeitet sich im Haushalt ihrer Gönner eine Vertrauensposition und begleitet das Ehepaar auf - für Kriegsverhältnisse gesehen- zahlreichen Reisen. Im Januar 1945, B.d.P. steht kurz vor dem Abitur, unternehmen sie eine Reise nach Nürnberg.
Bei einem schweren Luftangriff kommen das Offiziersehepaar und ihre Mutter ums Leben. Ohne den bisherigen Rückhalt ist die Fortsetzung der Schule bis zum Abitur nicht möglich. Sie meldet sich zu einem Rot-Kreuz-Lehrgang, der im Schnellverfahren Lazarettschwestern auszubilden sucht. Sie legt die Abschlussprüfung erfolgreich ab, kommt aber nicht mehr zum Einsatz. Dieses Zeugnis ermöglicht ihr in den ersten wirren Nachkriegsjahren ihren Lebensunterhalt durch eine Tätigkeit als Hilfsschwester an einem Rosenheimer Krankenhaus zu verdienen. Daneben bereitet sie sich darauf vor, ihr Abitur nachzuholen, was ihr 1947 gelingt.
Als sie die Zusage einer Tübinger Klinik bekommt, daß sie dort als Nachtschwester arbeiten kann, schreibt sie sich zum Studium an der Uni Tübingen mit der Fächerkombination Germanistik und Geschichte ein. Nach einer Gewöhnungszeit steckt sie die Doppelbelastung von Nachtdienst und Studium immer leichter weg. Sie lernt, den Studienstoff während der Nachtschichten abzuarbeiten und kommt nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut mit dem Studium voran.
Eine kleine Episode soll ihren Werdegang erheblich beeinflussen: Beim stundenlangen Warten im Wartezimmer eines Zahnarztes stöbert sie in zahllosen Blättern der goldgelben Presse, regt sich auf über die kommerzielle «Volksverblödung», wie sie es nennt.
Wieder zuhause schreibt sie - gewissermaßen um Dampf abzulassen- eine Parodie, eine vollständig erfundene Episode um eine damals prominente Filmschauspielerin.
Ein Kommilitone, dem sie diesen Text zeigt, schlägt vor, diesen «Bericht» einem dieser Blätter anzubieten und besorgt ihr Redaktionsanschriften. Sie reicht ihr Manuskript ein, hört dann wochenlang nichts. Sie überlegt, ob sie es noch bei einem anderen Blatt einreichen soll, da bekommt sie Post mit einem Scheck. Die Redaktion fordert sie auf, auch künftig solche Beiträge einzureichen. Das Honorar ist für damalige Verhältnisse gut ein halber Monatwechsel für eine Studentin.
Ebenso belustigt wie begeistert berichtet sie bei einem Seminar von der soeben gemachten Erfahrung. Der Seminarleiter schlägt ihr vor, im Rahmen einer Semesterarbeit zehn Artikel ihrer Wahl aus verschiedenen solcher Zeitungen zu analysieren Was sie schließlich abliefert, ist eine Schablone, mit der beliebig Artikel dieser Art «konstruiert» werden können. Der junge Dozent ist begeistert und stellt sie als studentische Hilfskraft (Hilfsassistentin) ein. Ihr Monatseinkommen ist nun selbst ohne Jobs als Aushilfs-Nachtschwester gesichert. Aus der fachlichen Zusammenarbeit ergibt sich recht bald eine enge persönliche Beziehung.
B.d.P. schreibt inzwischen dank ihrer «Schablone» regelmäßig Beiträge für verschiedene Blätter, bei denen außer Personen und Orten alles frei erfunden ist.
Ein anderer Erfolg ist ungeplant: Sie wird von ihrem Dozenten schwanger. Inzwischen zum außerplanmäßigen Professor ernannt, sieht dieser Karriere und Ehe in Gefahr, gibt ihr Geld für die Abtreibung und nennt ihr eine einschlägige Adresse.Vordergründig gelingt der Eingriff. Erst später zeigt sich, daß die Engelmacherin nicht auf der Höhe ihres Handwerkes war: Mehrere Ãrzte diagnostizieren, daß B.d.P. nie wird Kinder bekommen können. Mit dem Bruch der Beziehung verlässt sie Tübingen und geht nach Freiburg. Die Erfahrung wechselnder Liebschaften mit Ausflügen in die Umgebung, vor allem den Schwarzwald verwebt sie zu stimmigen «Geschichtchen», die ihren Leserinnen ans Herz gehen. Texte ohne jeden literarischen Anspruch, von denen sich aber viele junge Frauen jener Zeit angesprochen fühlen. Frauen ihrer eigenen Generation, denen die Männer fehlen, junge Männer, die im Krieg gefallen sind oder noch in Gefangenschaft festgehalten werden. B.d.P. kennt die Sehnsüchte dieser Frauen, weiß was sie lesen möchten und weiß, wie man genau solche Texte formuliert.
Es ist die Zeit der Groschenheftchen, die für fünfzig Pfennige Unterhaltung für knapp einen Abend liefern. Den Text für ein, zwei, manchmal drei dieser Heftchen liefert sie im Monat ab. Sie schreibt für mehrere Verlage solcher «Lieschen-Müller-Romane», hat für jeden Verlag ein anderes Pseudonym. Sie ist sich durchaus bewusst, daß ihre Texte keinen Tiefgang haben, aber der Markt verlangt genau das und beschert ihr -gemessen an ihren bescheidenen Ansprüchen- ein fast sorgenfreies Einkommen.
Inzwischen an der Uni Göttingen macht sie im Herbst 1954 ihr Examen für das Lehramt und wird bald in den Schuldienst aufgenommen. Das reale Leben, der Unterricht an der Mittelschule, bei der sie beschäftigt ist, reicht an ihre Wunschvorstellungen nicht heran. Zum Ende des Schuljahres, noch vor der Erhebung in den Beamtenstand, kündigt sie den Schuldienst und verlegt sich völlig aufs Schreiben. Ohne Anstrengung schafft sie fünf, sechs solcher Heftromane im Monat.
Ein Lektor weist B.d.P. auf ein neues Phänomen hin: Die Verkaufszahlen der Groschenhefte stagnieren, stattdessen greifen die Leserinnen vermehrt auf Romane im Buchformat zu. Meist sind es kleinere Schreibwarenläden, die sich um eine Leihbücherei erweitern. Diese Verleihstationen entstehen zahlreich und landesweit, schießen wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden.
B.d.P. nimmt die Herausforderung an, verfasst ihren ersten «langen» Roman. Das Buch ist brauchbar, aber kein Renner.
Sie beginnt, ihre Romane systematisch zu planen, bereist die Gegend, in der die Handlung ablaufen soll, recherchiert regionale Traditionen, Gebräuche und Besonderheiten. Der Erfolg läßt kaum ein Jahr auf sich warten. Nach einer neuen, selbst definierten «lSchablone» schafft sie unter immer wieder wechselnden Pseudonymen über ein Dutzend Romanbände im Jahr.
Etwa 1964 kauft sie in Bayern eine große Jugendstilvilla mit Seeblick. Bald wird sie sich darüber klar, daß das Haus für sie zu groß ist. Etwas enttäuscht muß sie feststellen, daß «richtige» Künstler und Schriftsteller den Kontakt zu ihr meiden. Sie bezieht ein kleineres Haus am Nachbarsee und schenkt das aus dem Villenverkauf übrige Geld einer Stiftung für gefallene Mädchen.
Während sie weiter wie am Fließband Leichtverdauliches produziert, analysiert sie die Werke von D.H.Lawrence , vor allem «Lady Chatterleys Lover» , später die von Emmannuelle Arsan. Etwa 1970 entstehen die ersten Konzepte zu Romanen, mit denen sie die Stufe zur «richtigen Schriftstellerin» zu überschreiten plant. Nur für diesen Teil ihres Werkes entwirft sie ihr neues Pseudonym Bettina de Phalsbourgh.
Etwa 1980 erkrankt sie, kann nur noch stundenweise am Schreibtisch sitzen, sieht zunehmend schlechter. Ein früherer Germanistikstudent, den sie Jahre zuvor als Fahrer und Gärtner eingestellt hatte, wird zu ihrem Sekretär und schließlich Vertrauten. Mit seiner Hilfe setzt sie ihre Arbeit kaum eingeschränkt fort, bis die Nachfrage nach solchen Schriften einbricht. Sie beschäftigt sich mit Drehbüchern für die Unterhaltung im Fernsehvorabendprogramm, erreicht in diesem Genre aber nicht ihre früheren Erfolge. Da sie nicht mehr reisen kann, werden die Recherchen zeitraubender oder unmöglich. In den letzten Jahren arbeitet sie an mehreren Romanen gleichzeitig, die der (Nach-) Welt ihre schriftstellerische Kompetenz zeigen sollen. Ohne eines dieser Werke fertiggestellt zu haben, stirbt sie 1995 in ihrem Haus.
Große Stücke der unvollendeten Romane gelten zunächst als unauffindbar. Bei der systematischen Durchsicht der hinterlassenen Manuskriptbestände tauchen inzwischen immer wieder Fragmente auf, aus denen ihr früherer Sekretär ihr Alterswerk zu rekonstruieren beginnt.
Die vor kurzem fertiggestellte Erzählung «Vertigo-schwindelig» ist eine Trilogie bestehend aus den Einzelbänden «Venus im Garten», «Elfe im Schilf» und «Eva im Sturm».
Weitere vorgefundene Fragmente deuten auf mindestens zwei weitere unvollendete Romane hin.
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